Wir trauern um Sylke Tempel

Nachruf

Sylke Tempel leuchtete, weil sie beides konnte: Klare Kante zeigen, zugleich aber eine positive, eine gestalterische Energie aussenden. Nun ist die Journalistin auf tragische Weise ums Leben gekommen. Ein Nachruf von Sergey Lagodinsky.

Sylke Tempel bei einer Diskussion in der Heinrich-Böll-Stiftung
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Shimon Stein (ehemaliger Botschafter des Staates Israel in Deutschland), Dr. Sylke Tempel (Chefredakteurin, Internationale Politik, Berlin)

Was bringen tausend Wörter, wenn auch zehntausend von ihnen einen Menschen nicht zurückholen werden? Über Sylke Tempel werden zehntausende Wörter geschrieben. Sie alle werden ihr nicht gerecht sein. Doch die Ehre, von so Vielen so schmerzlich vermisst zu sein, wird nicht jedem zuteil. Nur den wahren, den strahlenden Persönlichkeiten, wie Sylke eine war.

Es ist schwer zu sagen, wann Sylke Tempels Stern aufgegangen ist. Sie leuchtete immer schon: Ob in New York, wo sie Anfang der 90-er Jahre geforscht hat, in München, wo sie an der Bundeswehruniversität promovierte, oder in Israel, wo sie als Nahostkorrespondentin für Die Woche arbeitete. Später brachte sie zum Leuchten, was damals nicht im Ruf stand, als Leuchtkörper zu gelten: Mit einigen Mitautoren entstaubte sie die „Jüdische Allgemeine“ und machte schließlich als Chefredakteurin die Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik mit dem Allerweltsnamen „Internationale Politik“ zum unverwechselbaren Zentrum für strategisches Denken aus Deutschland.

Sylke Tempel leuchtete, weil sie beides konnte: Klare Kante zeigen, zugleich aber eine positive, eine gestalterische Energie aussenden. Sie war keine Kritikasterin, sie war eine Macherin – mit der Kraft ihrer Argumente. Ihre Analysen klangen hart, waren aber nie besserwisserisch. Sie waren ehrlich und sie waren vor allem ermutigend. Sie wirkten als Ansporn für uns alle in Europa, in den USA, in Israel. Ein Programm zum Handeln!

Sylke Tempel leuchtete, weil sie hervorragende Analysen in einer Sprache verfasste, die allen Zuhörenden zugänglich war, die sie packte, ärgerte oder zufrieden stellte, jedenfalls ließ sie niemanden gleichgültig. Erbarmungslose Inhalte, knackige Sätze und eine Prise ihres offenen, fast kindlichen Lächelns. Welche Talk-Show konnte denn dieser Mischung widerstehen? Und so luden sie sie alle ein: Die Lanz‘s und die Maischbergers und die Wills dieser Welt. Die Talk-Republik Deutschland hat an Sylke Tempel Gefallen gefunden, weil sie wortgewandt war, vor allem aber, weil sie etwas zu sagen hatte.

Doch in erster Linie leuchtete die Person Sylke Tempel, weil sie, wie wenig andere, Haltung mit Intelligenz verband. Werte und Prinzipien schimmerten durch ihre Analysen hindurch, taten ihnen aber keinen Abbruch, verkürzten sie nicht zur Ideologie. Die Rettung des liberaldemokratischen Westens vor Autoritären und Populisten – diesen Wunsch hat Sylke Tempel sich gerade in den letzten Jahren auf die Fahnen geschrieben. Sie prangerte die „Artilleriebeschüsse auf ein sehr ausgeklügeltes System, wie es Demokratie ist“, an. Doch für sie war dies ein intellektuelles Anliegen, kein Glaubenskrieg. Sie wollte überzeugen, nicht überrollen.

"Hashtag Selbstvertrauen wäre unbedingt ein Wort für mich“ sagte Sylke bei einem Kurzinterview und lächelte. In der Tat überzeugte sie mit einem angenehmen, gewinnenden Selbstvertrauen. Aber das Wichtigste: Auf dieses Selbstvertrauen erhob sie keinen Monopolanspruch. Im Gegenteil: es schien ein Teil ihrer Lebensaufgabe geworden zu sein, dieses Selbstvertrauen anderen zu schenken: Europas strategischen Denkern, damit sie den Kontinent im globalen Wettbewerb besser positionieren, den liberalen Demokraten der Welt, damit sie an die Kraft ihrer schwächelnden Demokratien endlich wieder glauben, den jungen Expertinnen für Sicherheitspolitik, damit sie ihren Weg in einem Milieu gehen, welches immer noch von Männern dominiert wird. Für diese Expertinnen gründete sie das „Frauennetzwerk Women in International Security“ (WIIS) mit, und war seit 2014 dessen Vorsitzende bis zu ihrem Tod.

Diese Haltung und dieses glänzende strategische Denken trug sie auch in unsere Stiftung hinein. Als Mitglied des Fachbeirats Europa/Transatlantik war sie für uns eine wichtige Stimme. Sie war sich für keine konzeptionelle Beratungsrunde zu schade und heute muss man das offen sagen – sie prägte unsere Arbeit, sie prägte unsere Konzepte, sie inspirierte unser Weiterdenken. Ob außen- und sicherheitspolitische Konferenzen,  transatlantische oder europapolitische Runden – Sylke war mit von der Partie: Ausbrechen aus gewohnten Denkmustern, raus - „out of the box“! „Kritik nehmen, Ideen geben“ – das war ihr Motto für Deutschlands Zukunft. Sie wollte, dass Deutschland mehr Verantwortung übernimmt für die Nachbarschaft, die zutiefst verunsichert und destabilisiert ist. Und wir packten mit an.

Ach, Sylke Tempel, wie sehr wirst Du uns fehlen!

Deiner Frau und anderen Angehörigen gilt unser unendliches und aufrichtiges Beileid. Und Dir sagen wir Worte, die wir an Deine Adresse noch lange wiederholen werden, ohne es richtig fassen zu können:

Ruhe in Frieden!
Rest in Peace!
baruch dayan ha'emet!

Sergey Lagodinsky

Ellen Ueberschär im Namen des Vorstands und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung